Hörsturz

Der Netz-Rechner stand in der hintersten Ecke des Raumes. Dies war einer der Alten Orte. Sie hatten nur ihre Pflicht getan.

Er ging zwischen den Gästen hindurch. Niemand war feindselig oder auch nur unhöflich. Aber jeder einzelne Kopf in der Bar folgte ihm, wie er dorthinging.

Er schaltete ein. Ein alter IBM mit kaum 400 Megahertz im Prozessor. Es kam ihm so vor, als dröhnte das sanfte Summen des Geräts durch die ganze Bar. Die Männer und Frauen wandten sich ab. Er spürte es nur. Er hatte kaum aufzusehen gewagt. Geradeaus, direkt in seiner Blickrichtung, hing ein Foto von Rosenstrauchs "Life in a Cabin", dem letzten gedruckten Buch. Er starrte die Ikone der Alten Orte an, während WIN08 gemächlich seine verstaubten Schätze vor ihm ausbreitete.

Er hatte das Buch gelesen, ehe es verboten wurde. Das Foto war von der Erstausgabe gemacht worden: Der Schutzumschlag war aufwendig bunt gedruckt. Die zweite und die letzte Auflage waren nur noch weiß eingebunden gewesen.

Das desktop war so weit. Er griff nach der Maus, für die es keine Unterlage gab. Sie holperte über die grobe Holzfläche des Tisches. Der Zeiger sprang irgendwohin. Der start-button war kaum zu erreichen. An Spracheingabe war natürlich ohnehin nicht zu denken. Um ihn war Murmeln, waren Wortfetzen, Redebrocken. Es gab keinen Rückzug in die Abgeschiedenheit der KopfhörerFlüstermikroEinheit. Das beruhigende Summen des IBM kam inzwischen nicht mehr gegen diese Geräusche an. All diese sich mischenden Worte. All diese unbereinigten Gedanken.

Es gab in diesem ganzen verfluchten Ort keine Nichtsprecherzone. Er würde es nicht mehr lange aushalten.

Er riß sich zusammen. Schloß die Zähne vor dem eigenen dunklen Schacht, der beliebige Worte ausspucken wollte, vielleicht um Hilfe bitten! Wann hatte er selbst zum letzten Mal laut gesprochen? Er wußte es nicht. Er erinnerte sich nicht, wie seine Stimme überhaupt klang. Darauf war er einmal stolz gewesen. Jetzt, hier, fühlte er sich nur gedemütigt. Allein der Gedanke an die Extimität direkter Ansprache verschlimmerte sein Unbehagen. Und eine fremde Menschrealität unmittelbar um Hilfe anzugehen, erschien ihm selbst in seiner Lage noch abgrundtief verworfen.

So mußte die Hölle sein. Fremde Körper und stinkende feuchte Worte. Er war unten angekommen. Vor ihm blinkte eine Kennworteingabe. Er mochte nicht glauben, daß es von hier aus noch nach draußen ging.

(wird fortgesetzt)